Nachhaltige Architektur: Historische Bauweisen digital neu interpretiert

Digitale Entwurfsverfahren: DDF, KIT: Porträt TT-Professor Moritz Dörstelmann, KIT: Riccardo Prevete, KIT
Digitale Entwurfsverfahren: DDF, KIT: Porträt TT-Professor Moritz Dörstelmann, KIT: Riccardo Prevete, KIT

24.04.2024

 

(Karlsruhe/kit) - „Das Bauwesen ist für mehr als 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich – der Flugverkehr im Vergleich nur für zwei bis drei Prozent“, erklärt Moritz Dörstelmann. Er ist sich sicher: „Um langfristig umweltbewusster bauen zu können, sind innovative Ansätze nötig. Mit unserer Forschung interpretieren wir das historische Handwerk digital neu. Dabei automatisieren und digitalisieren wir nicht einfach, sondern schaffen grundsätzlich neuartige Bauweisen.“

 

Mit seinem Team hat er das Konzept der Fachwerkhäuser neu gedacht: „Eines unserer Demonstratorprojekte besteht aus einer hybriden Tragstruktur aus Holz in Kombination mit Deckenbauteilen aus einem Weiden-Lehm-Verbund. Die Fassade besteht aus Flachsfasern. Somit konnten wir einen intelligenten Materialmix aus lokalen, schnell nachwachsenden Materialien sowie Erde und Holz konstruktiv nutzen.“ Ein skalierbarer Einsatz dieser natürlichen Baumaterialien in leistungsfähigen Bauteilen wird durch digitale Bautechnologien möglich. Das interdisziplinär und international aufgestellte Team der Professur Digital Design and Fabrication (DDF) hat hierzu beispielsweise digitale Entwurfsverfahren und automatisierte Fertigungsverfahren für Konstruktionsbauteile aus Weiden-Lehm-Verbund entwickelt.

 

In einem ganzheitlichen Ansatz werden neben bautechnologischen und gestalterischen Fragen auch Stoffkreisläufe interdisziplinär betrachtet. So untersuchte das Team, wie der Stoffstrom beim Einsatz von Weide als Baustoff aussehen könnte, wenn trockene Moorflächen wieder vernässt und dort Weiden angebaut werden. Sowohl die wieder vernässten Moore als auch die schnell wachsenden Weiden können große Mengen CO2 speichern. „So können wir lokales Material energiearm verarbeiten und vor allem die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen im Bauwesen diversifizieren“, so Dörstelmann. „Das heißt, wir können jetzt nicht nur auf Holz als die maßgebliche nachwachsende Ressource im Bauwesen zurückgreifen, sondern wir verwenden zudem Weiden, die in Feuchtgebieten wachsen und in keiner Flächenkonkurrenz zur Landwirtschaft oder Forstwirtschaft stehen.“

 

Zugleich finde im Prozess des Architekturentwurfs ein fundamentales Umdenken statt. „Computerbasierte Verfahren ermöglichen es – unter anderem durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz –, komplexe Wechselwirkungen im Architekturentwurf und eine Vielzahl möglicher Lösungswege abzubilden und zu evaluieren“, erläutert der Wissenschaftler. „Früher haben Architektinnen und Architekten den genialen Strich gezogen und jemand anderes musste sich überlegen, wie es gebaut werden soll. Heute bezieht mein Entwurfsprozess auch die Kontrolle der Rahmenbedingungen, die Definition von Wechselwirkungen und das Einstellen von Parametern mit ein. Daher muss ich mich als Architektin oder Architekt unter anderem auch mit landwirtschaftlichen Anbaumethoden und Baustoffkunde beschäftigen – dadurch wird die Arbeit sehr interdisziplinär.“

 

Dörstelmann zeigt mit seiner Forschung, wie es möglich ist, mit innovativen Ansätzen digitale Entwurfs- und Fertigungsstrategien zu nutzen, um den Wandel zur Kreislaufwirtschaft im Bauwesen zu ermöglichen und gleichzeitig ein neuartiges architektonisches Gestaltungs- und Konstruktionsrepertoire zu erschließen.

 

„In unserer forschungsorientierten Lehre machen wir den Trichter für neue Ideen sehr breit auf, um wirklich ganz unvoreingenommen und ungefiltert zu schauen, wie neue kreislaufgerechte digitale Bauweisen aussehen könnten“, erklärt der ArchitektVielversprechende Konzepte werden dann in geförderten Forschungsprojekten anhand von 1:1 Prototypen auf ihre Praxistauglichkeit geprüft. Dabei wirken seine Studierenden aktiv mit. Für seine praxisnahen und forschungsorientierten Lehrveranstaltungen erhielt Dörstelmann den Landeslehrpreis 2023. (jaho)

 

 

Video über Tenure-Track-Prof. Moritz Dörstelmann und sein Team im Rahmen des Landeslehrpreises 2023

Info

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 9 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen.

Seine etwa 22 300 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.


Autor / Quelle: KIT.kompakt 04/24 / (jaho) / zusammengestellt von Gert Holle - 24.04.2024


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